Richtig leben mit Geri Weibel by Suter Martin
Autor:Suter, Martin [Suter, Martin]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Neue Literatur
ISBN: 978-3-257-60332-3
Herausgeber: Diogenes
veröffentlicht: 2015-01-06T05:00:00+00:00
[113] Die Trinkgeldfrage
Vielleicht ist doch etwas dran am Gerücht, daß Susi Schläflis Vater mehrere Patente auf dem Befestigungstechniksektor besitzt. Wie sonst könnte sie sich Ferien in einem Land leisten, wo eine Cola über fünf Dollar kostet? Vom Flug dorthin ganz zu schweigen.
Die SchampBar vermutet einen Mann dahinter, und Susi unternimmt nicht viel gegen das Gerücht. Aber Geri weiß, daß sie alleine geflogen ist. Sie hat es ihm im Vertrauen gesagt. Denn immer, wenn Susi Schläfli eine längere Ortsabwesenheit plant, wird Geri zu ihrer Vertrauensperson. Das hat weniger mit Geri zu tun als mit Tonito, Susis kleinem Söhnchen. Geri ist der einzige, den sie zum Babysitten überreden kann.
Tonito ist zwar bei ihren Eltern gut aufgehoben, aber Susi findet es total wichtig, daß er den Kontakt zu ihrem Umfeld nicht verliert und nicht im Reihenhäuschen der Schläflis verspießert.
Obwohl Geri diese Maßnahme bei einem gut Einjährigen für übertrieben hält, holt er während Susis Abwesenheit Tonito jeden zweiten Tag zu einem kurzen Ausflug ab, der abwechselnd ins Fisch & Vogel oder ins Mucho Gusto führt. Schon nach wenigen Minuten ist er jeweils gezwungen, das Lokal wieder zu verlassen, denn Tonito ist am [114] Zahnen und haßt den Kinderwagen, auf dem Geri besteht. Selbst Frau Schläfli, die im Innersten überzeugt ist, daß es sich bei Geri um den von Susi so standhaft verheimlichten Kindsvater handeln muß, schafft es nicht, ihn dazu zu bewegen, Tonito im Babybeutel vor der Brust zu tragen. Denn auch bei Geri Weibel kennt das Nicht-nein-sagen-Können Grenzen.
Alle sind froh, als Susi wieder da ist, außer Susi selbst. Sie trägt eine Blüte hinter dem Ohr und ist in Gedanken weit, weit weg. Sie spricht wenig, trinkt zwei Daiquiris, und als Charly ihr das Wechselgeld bringt, steckt sie alles ein und läßt statt eines Trinkgelds die bereits etwas angewelkte Hibiskusblüte auf dem Tellerchen zurück. Charly vermutet Jetlag und stellt die Blüte in einem Schnapsgläschen neben die Kasse.
»Solange sie nicht mit Blüten bezahlt«, grinst er zu Carl Schnell, als Susi gegangen ist.
Als Charly am nächsten Tag das Wechselgeld für ihre Daiquiris bringt, klaubt Susi in der Handtasche. Vielleicht, denkt Charly, ist ihr das von gestern eingefallen und sie will die zwei Franken dreißig auf dem Tellerchen etwas aufstocken.
Aber Susi bringt ein leeres Joghurtglas zum Vorschein und entnimmt ihm zwei weiße Stefanotisblüten. Sie schaut Charly tief in die Augen und sagt: »Danke für die nette Bedienung, Charly.« Dann ersetzt sie das Wechselgeld auf dem Tellerchen durch die zwei Blüten und trippelt davon, wie barfuß durch den warmen Sand.
Es bleibt Geri Weibel vorbehalten, die SchampBar aufzuklären. Anläßlich des Debriefings von seinem [115] Babysittereinsatz an einem Zweiertischchen im Fisch & Vogel, als Geri neben der Rechnung etwas Kleingeld liegenläßt, schwärmt sie ihm von der trinkgeldlosen Gesellschaft Tahitis vor. Als Susi am gleichen Abend Charly wieder mit einem aufrichtigen Dank und einer Blüte im Wechselgeldtellerchen zurückläßt, trumpft Geri mit seinem Wissensvorsprung auf.
»Du meinst, sie gibt Charly Blüten statt Trinkgeld, um ihn nicht in seinem Stolz zu verletzen?« staunt Robi Meili.
»Charlys Stolz«, kichert Carl Schnell, »kann man mit Trinkgeld nicht verletzen.
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